Unsichtbar

Was nicht zu sehen ist, ist nicht da.   Punkt.

So geht es Menschen, wie mir immer wieder. In der Wahrnehmung meines aktuellen Gegenübers bin ich stets gesund und leistungsfähig. Es wird erwartet, dass ich so funktioniere, wie ein unbelasteter, völlig gesunder Mensch.
Das ich seelisch mit schmerzverzerrtem Gesicht an Krücken laufe, ist unsichtbar. Das mich die Alltagsstrecken, welche alle anderen meist schwuppdiwupp hinter sich bringen, ein Vielfaches an Energie kosten - ist unsichtbar.
Um so größer die ehrliche Verwunderung, wenn ich nach so einer Tour dann eine Pause in größerer Dimension benötige! "Wieso? Wir waren doch nur mal schnell..." Genau: Und für mich waren da noch Lärm, zu grelles Licht, zu viele Gerüche, zu viele fremde Menschen, die mir zu nahe kamen. Außerdem musste ich zig Entscheidungen fällen, zu denen ich mich nicht mal näherungsweise äußern wollte.
Ich soll möglichst nach einem Arbeitstag... "WAS?! Du gehst trotzdem arbeiten?!" - "Dann kann es Dir ja gar nicht so schlecht gehen"
(Stundenweises Arbeiten ist eine Ressource für mich. Soziale Kontakte, gebraucht werden, Struktur...)
...noch den Haushalt schmeissen, einkaufen, Termine wahr nehmen, die Hausaufgaben betreuen... Zuviel!
Manchmal wachsen mir schon zwei oder drei kleine Dinge über den Kopf. Ich spüre die Überforderung, merke dass ich Ruhe und Rückzug brauche. Schwindel, Konzentrationsmangel, mein Tinnitus brüllt mich an, Spannung baut sich auf... Ich mache trotzdem weiter. Funktioniere einfach. Bislang ist der Abend immer noch schneller da, als der Komplettzusammenbruch.
Ich funktioniere ja immer noch. Trotz Schlafmangel. Hervorragend!

Auf unsichtbaren Krückstöcken durchs Leben humpeln. Das ist ne Wucht, sag ich Euch!
Keiner würde so einen armen Wicht mit gebrochenem Bein und Krücken auch noch anrempeln. Der hat es nämlich schon schwer genug.
Aber genau das passiert mir im Alltag immer wieder.: Ich werde angerempelt und fliege oft dabei der Länge nach auf die Nase. Was tun? Rechtfertigen? Links liegen lassen? Ansprechen? Oder doch wieder den Ärger mit sich selbst ausmachen?
Mir ist ja bewusst, dass die Anderen meine Krücken nun mal nicht sehen und wahr nehmen können. Schlimmer noch: Jene, die Kenntnis davon haben, vergessen sie im Alltag sorglos immer wieder. (Auch das ist normal und verständlich und würde mir vermutlich genau so gehen.)

So mache ich von Zeit zu Zeit die Unsichtbarkeit sichtbar, indem ich mich unsichtbar mache.
Nicht da bin.
Mich nur um mich kümmere.
In meinem Universum.
Mich versuche in kleinen Schritten

zu heilen
zu nähren
zu wärmen
zu halten
zu schützen
ich zu sein.

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